Logo
Überschrift Homepage

Inhalt

Home


Supervision

Spielplatz

 


Jörg Mertin

Organisationsstruktur und Leitungskultur

(eine Ausarbeitung zur Teamsupervision, ohne Anmerkungen)

In dieser Ausarbeitung möchte ich den Einfluss beschreiben, den die hierarchische Struktur und die Leitungskultur einer Organisation auf die Teamsupervision ausüben. Diese beiden auf den ersten Blick ganz unterschiedlichen Dinge haben darin ihre Gemeinsamkeit, dass sie zu den Gegebenheiten zählen, die dem Supervisionsprozeß im Hinblick auf die Leitungsfrage vorausgehen und ihn mannigfach bestimmen. Es war meine Erfahrung, dass ich als Supervisor in Kontakt mit einem Team und einer Organisation komme, die eine spezifische hierarchische Struktur und einen eigenen Umgang mit der Hierarchie aufweisen. Der Blick auf diese Faktoren ist ein Beitrag zur supervisorischen Diagnose und zur Entdeckung spezifischer Ressourcen für das supervidierte Team.

Ich gehe dabei von der Form aus. Mir ist dabei klar, dass eine Organisationsanalyse nicht allein als formale Analyse der Struktur und Kultur einer Organisation erfolgen kann. Sie ist nach meinem Verständnis immer auch teilnehmende Beobachtung, sie ist vom beobachtenden Supervisor abhängig. Eine Hauptmethode ist dabei die Gegenübertragungsanalyse als Untersuchung und Differenzierung der Gefühle, Empfindungen und Eindrücke, die der Supervisor in der Organisation entwickelt. Folglich sind Institutionsanalyse und Selbstanalyse nicht zu trennen. Gleichwohl mache ich auch eine Einschränkung. Institutions- bzw. Organisationsanalyse und Selbstanalyse sind nicht dasselbe. Ich möchte dazu vorschlagen, den Begriff Institutionsanalyse als Untersuchung der mehr sinn- und zweckhaften Dimensionen der Organisation zu verstehen, jener Dimensionen also, die ohne Subjekt nicht zu denken sind, und dieser Analyse die Selbstanalyse als Gegenübertragungsanalyse zuzuordnen. Dagegen soll der Begriff der Organisationsanalyse die mehr äußeren, strukturellen, relativ unabhängig vom beobachtenden Subjekt existierenden Gegebenheiten bezeichnen. Dieser Unterschied bezeichnet Untersuchungsperspektiven, die beide letztlich zusammengehören.

Ich beschreibe im folgenden zuerst hierarchische Strukturelemente in Organisationen, denn diese gehören zu den Vorgegebenheiten, auf die der Teamsupervisionsprozeß stößt. Ich gehe dabei von der Makroebene aus, der Organisation als ganzer, um dann einen Blick auf die Mikroebene des Teams zu werfen. Mir erschien es sinnvoll, typologische Überlegungen als Mittel zu verwenden, damit Erfahrungen in größere Zusammenhänge eingeordnet und für andere Situationen nutzbar gemacht werden können. Danach stelle ich an einem Beispiel dar, wie kulturelle Dispositionen hierarchische Strukturen konkret gestalten. Wenn ich die Fragerichtungen nacheinander bespreche, so bedeutet das nicht, dass sie voneinander zu isolieren sind. In der Praxis bilden sie immer einen Zusammenhang.


Leitung und Organisationsstruktur - Hierarchische Organisationen

Als grundlegende organisationsstrukturelle Unterscheidung im Hinblick auf die Leitungsfrage erscheint mir die Differenzierung zwischen hierarchischen und nicht hierarchischen Organisationen. Hierarchie bedeutet eigentlich heilige Ordnung oder heiliger Ursprung, Als Begriff ursprünglich für religiöse Weltbilder gebraucht, dann für institutionell-religiöse Zusammenhange, ist er seit dem 18. Jahrhundert als gesellschaftsanalytischer Begriff bekannt, wobei die moderne Semantik durch Max Weber bestimmt wurde. Sozialgeschichtlich gesehen entstanden hierarchische Gebilde im Zusammenhang mit der Bildung von Städten als neuen Organisationsformen menschlichen Zusammenlebens, deren Ziel und Aufgabe es war, ökonomische Austauschprozesse konfliktfrei zu regeln. Es gibt dabei eine übergeordnete Instanz (Einzelpersonen oder Behörden), die den Austausch organisiert, wobei sie ein System von Regeln aufstellt. Sie muss um ihrer eigenen Selbsterhaltung willen die Einhaltung der Regeln überwachen, wodurch ein hierarchisches System entsteht, das die Tendenz besitzt, Abhängigkeit zu erzeugen. Danach gibt es übergeordnete Positionen, die für die Regeln verantwortlich sind, nach denen die nachgeordneten Positionen ihre zunehmend eingegrenzte und spezialisierte Tätigkeit verrichten und den Austausch abwickeln. Für alle komplexen Austauschprozesse sowohl immaterieller als auch materieller Art, sei es auf der Ebene von Staaten oder Kommunen, sei es auf der Ebene von Betrieben haben sich hierarchische Strukturen bewährt, insofern sie dafür sorgen, dass der Austausch konfliktfrei und sachlich geschehen kann. Charakteristisch für Hierarchien ist, dass es definierte Leitungspositionen gibt. Diese Vorgesetzten haben klar beschriebene Aufgaben. Sie sind verantwortlich für Koordination eines definierten und spezialisierten Tätigkeitsspektrums, für die Delegation an die zuständige Position und für die Kontrolle, ob die Regeln eingehalten werden.

Max Weber hat die herrschaftslogischen Geltungsgründe in der Beziehung zwischen Herrschenden und Beherrschten untersucht. Seine Differenzierung zwischen legaler, traditioneller und charismatischer Herrschaft ist z.T. auch heute noch lehrreich, um Dimensionen von Beziehungen zwischen in der Hierarchie Höherstehenden und Niedrigerstehenden zu verstehen. Alle drei von ihm unterschiedenen Beziehungen bezeichnen legitime Herrschaftsverhältnisse im Unterschied zur Willkürherrschaft. Der auch heute noch zu findende Hauptgeltungsgrund für Herrschaft ist die Geltung eines Gesetzes bzw. einer Regel. In dieser sogenannten legalen Herrschaftsbeziehung gibt es keinen Gehorsam gegenüber einer Person, sondern einen Gehorsam qua Regel oder Gesetz. D.h. die beteiligten Personen müssen sich zur Regelung ihrer Beziehungen auf die geltenden Regeln stützen, deren Einhaltung von Vorgesetzten überwacht wird. Dies ist ein Herrschaftsverhältnis, das in jeder komplexeren Organisation heute wirksam ist.

Während die von Weber so genannte traditionelle Herrschaft (im Grunde schon qua Begriff) in der Moderne zurückgetreten ist, scheint ein Aspekt der charismatischen Herrschaft heute in modernen Managementkonzeptionen wieder aufzuleben. Charismatische Herrschaft funktioniert aufgrund der Überzeugungskraft und Ausstrahlung des „Herrn“ auf die Untergebenen. Sie hört auf, wenn diese Ausstrahlung nicht mehr existiert. Es liegt hier eine rein persönliche soziale Beziehung vor. Hierin kann man durchaus ein typologisches Vorbild der heute geforderten Referenz- bzw. Identifikationsmacht von Führungskräften sehen.

Für die Supervision wichtig ist die Überlegung, ob diese Herrschaftsbeziehungen und entsprechende Leitungsstrukturen bearbeitbar erscheinen. Für die rein legale Herrschaftsbeziehung möchte ich das ausschließen. Denn ihr unbefragtes Funktionieren ist identisch mit dem Ziel des hierarchischen Systems, qua Regel ein System konfliktfreier Kommunikation zu gewährleisten. Zeigen sich dort Probleme, so würde man eher den Weg einer Neufassung der Regeln wählen, d,h. die immanente Logik steigern und verfeinern als das System als solches zu befragen. Eine „charismatische“ Herrschaftsbeziehung könnte dagegen unter Umständen supervisorisch bearbeitbar sein, denn in ihr spielen persönliche Beziehungen eine Hauptrolle, die gegebenenfalls geklärt werden können. Da Herrschaftsbeziehungen, wie Max Weber feststellte, meist in gemischter Form auftreten, wäre bei der Frage nach der Hinzuziehung von Leitungspersonen zu analysieren, in welcher Mischung die Beziehung zu den nachgeordneten Mitarbeitern auftritt. Hypothetisch formuliert: Je unpersönlicher die Beziehung gestaltet ist, wobei die Entfernung in der Hierarchie ihren Teil dazu beiträgt, desto weniger erscheint die Teilnahme eines Vorgesetzten in einer etwaigen Teamsupervision sinnvoll, oder umgekehrt: desto massiver wäre unter Umständen der Interventionscharakter der Leitungsteilnahme. Die Leitung würde prinzipiell in einem solchen Prozess das tun, was ihre Aufgabe ist, nämlich die Einhaltung der Arbeitsregeln kontrollieren. Das aber kann sie auch in Dienstbesprechungen ohne Supervision machen. So wird sich der Einbezug des Vorgesetzten auf die Genehmigung des Kontrakts und u.U. die Bereitstellung von Geld beschränken. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass sich die genannte Hypothese auch umkehren lässt.


Leitung und Organisationsstruktur - nichthierarchische Organisationen

Das typologische Gegenbeispiel zu den hierarchischen Organisationen sind nichthierarchische Organisationen, unabhängig von der Frage, ob es sie in reiner Form in der Wirklichkeit gibt. Jedenfalls liegt in diesem Bereich das ursprüngliche Feld der Teamsupervisionen. Typologisch gesehen gibt es keine vorgesetzte Leitung, oft wird das programmatisch vertreten. Basisdemokratie, Leiterlosigkeit, Hierarchiekritik und Teamorientierung gehören zum Grundbestand der Gedankenwelt, d.h. hier ist ein kultureller Faktor wirksam. Kollektive, selbstverwaltete Betriebe lassen sich in diese Gruppe einordnen. Per definitionem leiterlos sind diese Organisationen in ihren Strukturen beweglich. Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten werden oft neu ausgehandelt. Die Themafrage der Arbeit nach der Einbeziehung der vorgesetzten Leitung in eine Teamsupervision stellt sich in diesen Organisationen im Grunde nicht. In der Realität können die Dinge anders liegen.

Erstens können Leitungsrollen entstehen. Im Laufe der Zeit entstehen auch in kollektiven Organisationen aus unterschiedlichen Gründen Leitungspositionen, zum Beispiel um einen Ansprechpartner für Abrechnungen und Kostenträger zu haben. Äußeres Wachstum, Erfolg eines Projektes, notwendige Professionalisierung nötigen zu rollenbezogener Differenzierung und zur Einführung hierarchischer Elemente. Diese Veränderungen in den Strukturen bedeuten aber nicht, dass sich die kulturellen Einstellungen zur Hierarchie mit ändern. So bleibt es bei der Hierarchiekritik. Leitungspositionen sind häufig nicht klar definiert. Leiterlose Organisationen lassen oft nur schwache Leitungen zu. Der Gründer eines Projekts mag sich als Leiter verstehen, hat aber keine akzeptierte und definierte Leiterrolle oder umgekehrt, jemand übernimmt eine Leitungsrolle, versteht sich aber nicht als Leiter, weil kein reflektiertes Leitungsverständnis vorhanden ist. D.h das Strukturniveau der Organisation wird im Hinblick auf Leitungspositionen auf niedrigem Niveau gehalten.

Zweitens ist hier der Faktor der Machtausübung zu berücksichtigen. Macht ist ein charakteristisches Medium sozialer Beziehungen. Auch in leiterlosen, teambestimmten Organisationen wird Einfluss genommen und Macht ausgeübt. Macht und Machtausübung bzw. Einflussnahme sind für jede Form sozialer Beziehung konstitutiv. Es stellt sich in jeder Form sozialen Zusammenlebens daher die Aufgabe, Macht und Einfluss auszuüben, zu kontrollieren und zu definieren. Definition von Machtspielräumen begrenzt die Willkür und lässt Macht kontrollierbar werden. Zum Beispiel können Leitungsrollen als definierte Machtspielräume bezeichnet werden. Je weniger ausgeprägt Leitungsrollen definiert sind desto undefinierter, also unbegrenzter und vielgestaltiger entfalten sich Macht und Einfluss, desto stärker werden Konkurrenz und Konflikte offen ausgetragen. Die Aufgabe der Supervision in leiterlosen Teams bzw. in leiterlosen Organisationen besteht in der Demonstration eines auf die Ermutigung zu Rollendifferenzierungen zielenden Konzeptes von situativer Führungsübernahme und ihrer ständigen Kontrolle.


Leitung und Organisationsstruktur - das Zugleich von Hierarchie und Nichthierarchie

Die dritte typologische Form von Organisationen weist ein Zugleich der beiden vorher beschriebenen auf und betrifft in der Realität die meisten Einrichtungen, die Teamsupervisionen nachfragen: Es gibt eine Hierarchie bzw Leitungsstruktur in unterschiedlicher Ausprägung. Leitung ist auf bestimmten Ebenen definiert, so dass Vorgesetzte zu berücksichtigen sind. Daneben gibt es starke Teamorientierungen, d.h. eine kooperativ, gelegentlich auch sich kollektiv verstehende Binnenstruktur auf der Ebene einzelner Arbeitsgruppen und Teams. Die Teams können ihrerseits hierarchische Dimensionen aufweisen, wenn sie eine Leitung haben, aber sie können auch nichthierarchisch aufgebaut sein oder sich verstehen. Weitere wichtige Differenzierungen ergeben sich im Hinblick auf die Organisationskultur. Wie wird Hierarchie bewertet, wie wird Leiterlosigkeit bewertet? Bei einer starken Teamorientierung wird man mit Hierarchiekritik rechnen müssen, evtl. auch mit Schwierigkeiten Leitung zu definieren und auszuüben, ja mit Widerständen gegen ein differenziertes Leitungsverständnis (wie in leiterlosen Organisationen).

Zu rechnen ist also mit beiden zuvor beschriebenen Dimensionen, mit der hierarchischen, in der die Definition von Macht in Leitungsrollen erfolgt und der nicht hierarchischen, in der Macht sich unbegrenzter entfalten kann. Durch das Zugleich beider Dimensionen wird hier immer wieder ein Spannungsverhältnis spürbar werden. Es wird in diesen Konstellationen auch deutlich werden, dass die formale Hierarchie nicht identisch sein muss mit der realen Machtverteilung. Eine prinzipielle Perspektive könnte sein, Machtmechanismen und Machtballungen zu analysieren und Machtdefinitionen in Leitungsrollen zu reflektieren. Da es die Möglichkeit gibt, Hierarchie einzubeziehen, könnten sich Arbeitsfelder wie Rollendifferenzierungen speziell im Hinblick auf Leitungsrollen nahelegen. Die Chance und die Notwendigkeit dazu hängt offenkundig auch vom Hierarchisierungsgrad der Organisation ab. Je geringer der Hierarchisierungsgrad einer Organisation ist, desto weniger werden die rollenspezifischen, institutionellen und strukturellen Komponenten des Berufsalltags reflektiert. Die spürbare Präsenz von Hierarchie könnte also auch chancenreich sein.

Es kann in diesen Konstellationen wichtig sein, herauszufinden, welches Verhältnis zwischen dem hierarchischen und dem nichthierarchischen Teil besteht, und dies ist eine Frage der Organisationskulturen. Beide Kulturen können konflikthaft gegeneinander stehen und gleichzeitig kann es ein dauerhaftes Verhältnis sein Sie können aber auch durch eine resignative Akzeptanz der hierarchischen Kultur bestimmt sein, sie können ferner durch gemeinsame Wertvorstellungen verbunden sein. Für eine Teamsupervision in solchermaßen zu beschreibenden Organisationen sind in jedem Fall hierarchische Dimensionen zu berücksichtigen. Als Grundtatbestand hat man es in aller Regel mit zwei Leitungen zu tun. Zunächst einmal mit der Leitung des Teams, die in der täglichen Arbeit mit dem Team zusammenarbeitet. Zum anderen aber mit der unmittelbar vorgesetzten Leitung, die nicht mitarbeitet, aber die Supervision genehmigen muss. Je nach Organisation gilt es auch noch entferntere Leitungsebenen bzw. Personen zu berücksichtigen, doch dürften diese entfernteren Ebenen für eine ständige Teilnahme an einer Supervision nachgeordneter Teams nicht in Frage kommen. Dagegen kann es in den hier beschriebenen Organisationen sinnvoll erscheinen, nach einer genauen Diagnose unmittelbar vorgesetzte Leitungen in die Teamsupervision einzubeziehen, wenn, wie im ersten Abschnitt gezeigt, die Beziehung nicht vollkommen unpersönlicher Art ist. Das würde die oben angedeuteten Refiexionsmöglichkeiten eröffnen hinsichtlich des Umgangs mit Hierarchie, Macht und Rollen. Noch ganz anders als in leiterlosen und streng hierarchischen Organisationen geht es in diesen Fällen auch um die Supervisorenrolle. Als Teamsupervisor befindet man sich, kurz gesagt, zwischen den Leitungen, deren jede unterschiedliche Probleme verursacht und Interessen mit der Supervision verknüpft. Wenn es ein Leitungsproblem gibt, ist jeweils zu klären, für welche der Leitungen das zutrifft. Es kann sein, dass die „vorgesetzte“ Leitung zwar klar definiert ist, aber zu weit entfernt ist von der alltäglichen Arbeit, während gleichzeitig die Teamleitung über wenig formale Definitionssicherheit und Rollensicherheit verfügt und dem Interrollenkonflikt unterliegt, nämlich einerseits Teil des Teams zu sein, andererseits zur Leitungsebene der Einrichtung zu gehören Alle betroffenen Leitungen können Befürchtungen haben, dass ihre eigene Leitungsfähigkert zum Thema wird.

Teamsupervisionen in solchermaßen charakterisierten Organisationen bieten sehr viele Möglichkeiten, in Kontrakten das Thema Leitung, Führung, Herrschaft zu berücksichtigen. Teamsupervisionen in diesem Kontext können aber auch die Gefahr mit sich bringen, dass Leitungs- und Hierarchiefragen von der kontraktierten Arbeit ablenken und z.B. Fallbesprechungen vermieden werden. Jedenfalls erfordert das Zugleich zweier Systeme und Kulturen eine hohe Aufmerksamkeit bei der Kontraktgestaltung. Der Kontakt beider Kulturen kann für eine Organisation förderlich sein, sei für die Formulierung und Durchsetzung von Interessen des Teams, sei es für die Konzeptarbeit, sei es für die Sensibilisierung und Klärung von Machtfragen oder für die Rollenklarheit.


Team und Leitung

Ich gehe jetzt auf die Ebene des Teams. Außer im Fall der leiterlosen Teams müssen in jeder Teamsupervision hierarchische Dimension untersucht werden, Dazu stelle ich jetzt dar, welche Art der Leitung dabei zu bedenken ist. (1) Die meines Erachtens wichtigste Unterscheidung ist diejenige zwischen einer mitarbeitenden und einer nicht mitarbeitenden Leitung. (2) Ferner lässt sich die betreffende Leitung nach der Art der Leitungsautorität unterscheiden.

Schließlich ist die Frage nach verschiedenen Rollenanforderungen im Blick zu behalten. Damit sind Fälle gemeint, m denen eine Leitungsperson verschiedene Leitungsrollen in sich vereinigen muss; z.B. zugleich Gruppenleiter, Teamleiter und stellvertretender Heimleiter zu sein. Eine supervisorische Perspektive wäre hier die Entwicklung von Rollenbewußtsein und Rollenklarheit. Ich klammere diese Fragestellung aus.

(1) Die erste Fragestellung bezieht sich auf die Entfernung in der Hierarchie. Der Regelfall wird es sein, dass in einer Teamsupervision die Spanne in der Hierarchie nur eine Stufe umfasst. Z.B. wenn an einer Teamsupervision eine mitarbeitende Leitung teilnimmt (wobei je nach Kultur dies nicht einmal als eigene hierarchische Stufe wahrgenommen wird). Dies sind z.B. Gruppenleitungen im Kinder- und Jugendhilfebereich, dazu gehören auch Stationsleitungen im Krankenhaus- und Altenhilfebereich. In diesen Teamsupervisionen mit Leitungskräften wird die große gemeinsame Basis des Arbeitserlebens gut besprechbar sein. Erfahrungsgemäß wird es so sein, dass die teilnehmende Leitung je nach umgebender Organisation und kulturellen Gegebenheiten eher wenig Rollenprofil aufweist, d.h. sich wenig unterscheiden will von den ihren Mitarbeitern. Sie versteht sich nicht als Leitung oder Vorgesetzte, sondern mehr als Moderator, Koordinator oder Sprecher. Es kann also der Fall sein, dass es eine formelle Teamleitung gibt, die aber nicht oder kaum wahrgenommen wird.

Zu rechnen ist mit einem Intrarollenkonflikt bei der mitarbeitenden Leitungsperson. Er bezieht sich auf die beiden Seiten; Mitarbeiter sein einerseits, Leitungskraft sein andererseits, oder anders: sowohl von den Mitarbeiterinnen als auch von der Organisatlonsleitung als Sprecher für die eigenen Interessen gesehen zu werden. Es kommen, je undeutlicher die Leitungsrolle eingenommen wird, auch Machtkämpfe und Rivalitäten vor, d.h Mitarbeiter können versuchen, die Leitung zu beschädigen. Indem die offene Beschäftigung mit dem hierarchischen Element und damit mit definierter Macht vermieden wird, kommt es vermehrt dazu, dass Machtbedürfnisse agiert werden. Das Thema Hierarchie kann im Hintergrund bleiben, aber auch zu konkreten Auseinandersetzungen Anlaß geben, etwa wenn Teamleitungen versagen oder angegriffen werden. Die teaminterne Hierarchie wird solcherart zum Spielball von teaminternen Einflussbedürfnissen.

Wenn an der Teamsupervision eine nicht mitarbeitende Leitungsperson teilnimmt (also zwei Hierarchie-Stufen beteiligt sind), verändern sich Themen und die gruppendynamischen Kräfteverhältnisse. Das Thema Hierarchie wird personal präsent. Das bedeutet nicht unbedingt, dass Leitungsrolle und Machtausübung leichter thematisiert werden können. Das hängt damit zusammen, dass Macht (im non-Profit-Bereich) tendenziell immer noch ein Tabu ist und sich nur langsam daraus befreien lässt. Eine nicht mitarbeitende Leitungsperson hat in aller Regel die Funktion eines Vorgesetzten, dessen Aufgabe zu einem guten Teil kontrollierender Art ist. Eine solche Leitungsperson könnte auch in der Teamsupervision zunächst weniger seine Rolle als Supervisand einnehmen als vielmehr seine Rolle als Vorgesetzter mitbringen und gegebenenfalls ausüben, d.h. sie wird das in der Supervision Besprochene zur Information und Kontrolle verwenden Dies lässt sich auf die Dauer wahrscheinlich nicht zuverlässig verhindern. Ein möglicher Schritt besteht darin, die mitgebrachte Rolle zu thematisieren, um zu erreichen, dass auch die Rolle des Supervisanden eingenommen werden kann. Das bedeutet aber, dass die Leitungsperson Kräfte und Zeit in der Supervision bindet. Es bedarf wohl auch einer vorherigen Kontraktierung über die Thematisierung dieser Rolle, denn nicht jeder Vorgesetzte ist bereit, sich in seiner Rolle befragen zu lassen. Aber es liegt dann m.E die große Chance, das Verhältnis und gegebenenfalls die Auseinandersetzungen zwischen Leitung und Mitarbeiterinnen zu bearbeiten, mit dem Ziel, sie aus dem rein persönlichen Verständnis auf die Ebene von Rollen- und Interessenkonflikten zu bringen. Weitere Möglichkeiten sind: Konzepte miteinander zu sprechen, sie gegebenenfalls zu diskutieren und zu gemeinsam verantworteten Entscheidungen zu kommen. Dies ist aber nur dann möglich, wenn der teilnehmende Vorgesetzte die Diskussion will und man dies kontraktiert hat, ansonsten könnte er aufgrund seiner Rolle die Einführung von Konzepten anordnen. Die Teilnahme der vorgesetzten Leitung könnte zu einer Bearbeitung und Klärung von Rahmenbedingungen der Arbeit führen, ferner könnten Konzeptfragen thematisiert werden, es könnten Vereinbarungen und Entscheidungen getroffen werden, insgesamt also Fragestellungen, die mehr mit der Organisation als ganzer zu tun haben.

Es sind andere Fälle denkbar, in denen die Leitung vorgesetzt ist, in der täglichen Arbeit nicht dabei ist, und doch eine große Nähe zu dieser Arbeit besitzt. Das betrifft z.B. sogenannte Freistellungen für Kindergartenleiterinnen. Hier wird es häufig zu Teamsupervision genannten Settings kommen, in denen selbstverständlich die freigestellte Leiterin teilnimmt. Hier wird sich aufgrund der Nähe zur Arbeit eher eine Teamsupervision entwickeln, die denjenigen vergleichbar ist, in denen die Leitung selbst mitarbeitet.

(2) Es ist ebenso die Frage zu beantworten, welche Art Leitung mit der teilnehmenden Leitungsperson verknüpft ist. Ich unterscheide zunächst einmal fachliche Autorität und Amts- bzw formale Autorität. Fachliche Autorität speist sich aus Expertenwissen, ist Expertenmacht, formale Autorität gründet sich in der hierarchischen Position. Eine mitarbeitende Leitung wird primär fachliche Autorität sein, sekundär formale Autorität. Bei einer nicht mitarbeitenden Leitung kann das umgekehrt sein, jedenfalls ist der Anteil der formalen Autorität größer. Generell ist davon auszugehen, dass Leitungsautorität heute fachliche Autorität einschließen muss. Vorgesetzte werden in der Sichtweise ihrer Mitarbeiter danach beurteilt, ob sie fachlich kompetent sind. Fachlich nicht genügend kompetenten Vorgesetzten nutzt ihre Vorgesetztenposition wenig, sie werden leicht angreifbar.

Es wird darüber hinaus ein weiterer Faktor wirksam: Im Grunde genügen heute weder formale, noch fachliche Macht und Autorität allein für eine Leitungskraft. Es scheint entscheidend zu sein, dass ein Leiter (auf welcher Hierarchiestufe er sich auch befindet) ein Identifikationsmodell für die Mitarbeiterinnen darstellt, d.h. fachliche und formale Autorität in Identifikations- bzw. Referenzautorität umformen kann, was letztlich eine moderne Transformation dessen darstellt, was Max Weber charismatische Herrschaft genannt hat. Mitarbeiter wollen sich mit einer vorgesetzten Leitungskraft identifizieren können. Die neueren Managementkonzepte zielen auf diese beziehungsorientierte Führungsart. Die Teilnahme der vorgesetzten Leitung an der Teamsupervision kann m.E. diese Dimension in einem ersten Schritt eröffnen und befördern. Ein Vorgesetzter, der sich seinem Team stellt und sich in seiner Rolle befragen lässt, leistet einen Beitrag zur Rollenentwicklung und reflektierten Rollenübernahme für die Teammitglieder.

Gleichzeitig bleibt aber auch die Organisationskultur wirksam, jenes zugrundeliegende Verständnis und die (im sozialen Bereich immer noch kritische) Bewertung von Leitung, die ein relativ stabiles Wahrnehmungsgerüst darstellen. D.h. die Teilnahme der vorgesetzten Leitung hat immer noch Interventionscharakter und eröffnet ein Spannungsfeld, in dem vorwärtsweisende und beharrende Kräfte zugleich wirksam sind. Mit der Leitungsteilnahme kann sich eine Dynamik entwickeln, die Verteilung von Macht und Einfluss betrifft und mittelfristig verändert. Vorgesetzte können befürchten, ihren Einfluss zu verlieren. Allerdings scheint es andererseits so zu sein, dass die in der direkten Interaktion mit dem Vorgesetzten erstrebte Einflußsteigerung von Mitarbeitern einen positiven Regelkreis in Gang setzt, d h. zugleich den akzeptierten Einfluss der Leitung steigert.

Ich stelle jetzt ein Beispiel dar, um die Anwendung der bisher entwickelten Analysekriterien zu demonstrieren und auf die Auswirkungen der Leitungskraftteilnahme im Supervisionsprozeß auf Themen und Interaktionen aufmerksam zu machen. Dieses Beispiel ist leider kein gelungenes Beispiel einer Teilnahme eines Vorgesetzten. Es spiegelt meine Erfahrungen wider und dokumentiert eher die Schwierigkeiten, die diese Intervention mit sich bringen kann. Dennoch gibt es darin Ansätze, die eine diagnostisch abgesichertere Intervention dieser Art als durchaus sinnvoll erscheinen lassen.


Beispiel: Teilnahme eines nichtmitarbeitenden Vorgesetzten an der Supervision

Es handelt sich um eine Supervision mit Stationsleitungen und ihren Stellvertretungen in einem Akutkrankenhaus. Strenggenommen handelt es nicht um eine Teamsupervision, sondern um eine Gruppensupervision. Allerdings arbeiten alle Supervisanden in einer Organisation und sie bilden eine Führungsebene, so dass die auch für eine Teamsupervision charakteristischen Einflüsse der Organisation auf alle Supervisandinnen wahrzunehmen waren. An dieser Supervision nahm der vorgesetzte Pflegedienstleiter teil. Die Organisation selbst ist streng hierarchisch aufgebaut, und zwar mit mehreren parallelen Hierarchien, von denen die ärztliche und die pflegerische in diesem Zusammenhang die wichtigsten sind. Die Hierarchie im ärztlichen Bereich bezieht sich sowohl auf fachliche Autorität, als auch auf formale Autorität, der Anteil der persönlichen Autorität weist eine Besonderheit auf, insofern er kaum auf Partizipation der nachgeordneten Mitarbeiter zielt. Soziale Führungskompetenzen zeigen sich unterentwickelt. Die Hierarchie ist als ausgesprochen starr zu bezeichnen. M.E. kann man sagen, dass, so wie die Krankenhauskultur von der medizinisch-naturwissenschaftlichen Kultur beherrscht wird, auch die Starrheit der ärztlichen Hierarchie einen dominanten Einfluss auf die Pflegehierarchie ausübt. Gleichwohl gibt es in der Pflege eine Teamorientierung, die eine hohe Bewertung genießt. Dennoch wird die Hierarchie in der Pflege dadurch nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sie ist akzeptiert. Es gibt also keinen Widerspruch zwischen Teamorientierung und Hierarchie, es ist eher so, dass deutliche Rollenübernahme von den Leitenden gefordert wird. Beispielsweise gilt die Überzeugung, dass nur eine starke Pflegedienstleitung die Interessen der Pflege im Haus angemessen vertreten kann.

Die Supervisionsgruppe war bezogen auf die hierarchische Position statusdifferent. Auf der einen Seite standen die Stationsleitungen, auf der anderen Seite die stellvertretenden Stationsleitungen. Bezogen auf die Gruppe gab es an sich keine Leitungsrolle, es gab jeweils 4 Leiterinnen und ihre Stellvertreterinnen. Da es in der Organisation bislang keine klaren Rollendefinitionen für die Stellvertretungen gab, wurde dies im Laufe des Prozesses deutlicher zum Thema. Es zeigte sich, dass bereits die Hinzunahme der Stellvertretungen eine Intervention war. Das Thema dieser Statusdifferenz erwies sich aber als gut handhabbar und besprechbar. Mit der Teilnahme des Pflegedienstleiters war jedoch eine noch stärkere Intervention gegeben. Er war in formalem Sinne der Vorgesetzte, der nicht mitarbeitet. Allerdings gab es aufgrund seiner Rolleninterpretation einen hohen Anteil an persönlicher Beziehung zu den nachgeordneten Mitarbeitern. Zugleich war er Fachautorität, in den Augen seiner Mitarbeiterinnen allerdings keine unanfechtbare. Seine Aufgabe verstand er bezogen auf die Stationsleitungen als Kontrolle der Einhaltung von Pflegestandards (also als fachliche Kontrolle und Bewertung) Seine Rolleninterpretation zeigte sich als partizipationsorientiert und als moderierend, weniger im formal entscheidungsbezogenen Sinne. Er wollte seine Mitarbeiter an Entscheidungen beteiligen. Im Erleben der Mitarbeiter war er nicht der "starke Mann", der den Ärzten Paroli bieten konnte. Er verfügt also nur über eine geringe Referenz- bzw. Identifikationsmacht bei den Mitarbeitern.

Die Folgen seiner Teilnahme an der Supervision: Da es, aus hier nicht darzustellenden Gründen, nicht gelang, mit dem Pflegedienstleiter zu einer Rollenklärung zu kommen (was ist er in der Supervision?), verhielt er sich in den Sitzungen in seiner mitgebrachten Rolle, zunächst als formaler Vorgesetzter. Er beschaffte sich Informationen über seine Mitarbeiter. Er registrierte, was sie sagten und wertete das Gehörte für seine Entscheidungen bei Mitarbeiterumsetzungen aus. Das allerdings sagte er nicht offen, es stellte sich beiläufig heraus. Er brachte ferner seine Themen als Fachautorität ein. Er wollte gerne Konzeptvereinheitlichungen durchführen und benutzte die Supervision, um dies seinen Mitarbeitern nahezubringen. Dies gelang ihm nicht, aber es wurde kontrovers über verschiedene Konzepte diskutiert. Kontraktiert waren anfangs Fallbesprechungen: Probleme und Fragen, die die Leitungskräfte in ihrer Rolle im Stationsalltag beschäftigen. Dies wurde aber zunächst nicht gemacht, wobei es hier keinen einheitlichen Vermeidungswillen gab, denn manche Mitarbeiter hielten die Teilnahme des Vorgesetzten für die Besprechung ihrer Fragen für unabdingbar. Dass es dennoch nicht dazu kam, hatte mit einer längeren Krankheitspause des Vorgesetzten zu tun. In seiner Abwesenheit wurde einerseits der Vorgesetzte zum Thema (aber nur am Rande), andererseits entwickelten sich mehr Fallerörterungen, und es traten gruppeninterne Beziehungsprobleme zu Tage, so dass ich mich entschied, die letzten Sitzungen der Supervision ohne den Vorgesetzten durchzuführen.

Die Teilnahme des Vorgesetzten hat Kräfte gebunden, d. h. er hat den Prozess stark beeinflusst. Da die Rollenklärung am Anfang unterblieben war, gab es auch kräftezehrende Unklarheiten in der Beziehung zu mir als Supervisor. Positive Ansätze sehe ich im Interesse sowohl des Vorgesetzten als auch von Teilen seiner Mitarbeiter, gemeinsam Fragestellungen zu erörtern. Sowohl Fragen von Konzepten als auch bestimmte Fragen des Umgangs mit Mitarbeitern erwiesen sich als besprechbar. Ferner eröffnete die Konstellation im Prinzip Möglichkeiten, das Verhältnis zwischen dem Vorgesetzten und seinen Mitarbeiterin im Hinblick auf die Rollen zu klären. Gerade dies würde in dieser Kultur, in der der Stellenwert der Identifikations- bzw. Referenzmacht hoch ist und die Rollenträger persönlich belasten kann, weil zwischen Person und Rolle kaum differenziert wird, aufklärend und entlastend wirken.


Die Bedeutung der Leitungskultur für die Teamsupervision

In diesem Abschnitt mochte ich die Leitungsstrukturbeschreibung der Organisation und des Teams zusammenführen in einer Analyse der Leitungskultur. Kultur ist ein Beharrungsfaktor, ein im Prinzip konservatives Element, das Medium, in dem Supervision stattfindet und auf das sie sich einlassen muss, wenn sie etwas verändern will (wobei auch die Veränderungen zur Kultur werden müssen, wenn sie auch nur auf relative Dauer gestellt sein sollen). Organisationsstrukturen leben immer in Organisationskulturen. Dis Untersuchung kultureller Faktoren ist ein Beitrag zur Erklärung, in welcher Weise Strukturen funktionieren und warum sie es tun oder eben nicht. In diesem Abschnitt versuche ich an einem Fallbeispiel die Frage zu beantworten, ob es eine kulturspezifische Erklärung geben kann für die Schwierigkeiten und Tabus, die sich mit der Leitungs- und Machtthematik in Teamsupervisionen im sozialen Dienstleistungsbereich verbinden. Zur Begrenzung des Ansatzes sei bemerkt: Die kulturelle Erklärung ist niemals die einzig mögliche, sie erklärt auch die Fälle nie vollständig, aber sie ist ein notwendiger Beitrag zur Diagnose.

Unter Kultur verstehe ich gemeinsame Grundprämissen, Muster des Denkens und Empfindens, welche in einer Organisation eine relativ festgefügte Gestalt bilden. Als kollektive Orientierungsmuster bilden sie ein gemeinsames, geteiltes Weltverständnis (Berger, Luckmann). Diese Grundmuster sind nicht unmittelbar dem Bewusstsein zugänglich. Sie bilden die selbstverständliche Grundlage des spontanen Handelns. In die Organisationskultur gehen Basisannahmen ein. die das gemeinsam geteilte Weltbild beschreiben, ferner Wertvorstellungen und Regelsysteme und schließlich symbolische Ausdrucksformen, also das, was man beobachten kann an Interaktionen zwischen den Menschen. Darüber hinaus aber prägt die Geschichte einer Einrichtung ihre gegenwärtige Kultur. Einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt bildet die Geschichte des Organisationstyps, die weit zurückreichen kann und in sich gesellschaftliche Entwicklungen aufgenommen und verarbeitet hat. All dies zusammen bildet die Muster und Gestalten aus, an denen die Individuen und dann auch Teams teilhaben. Kultur ist das, wohinein man kommt oder sozialisiert wird. Sie geht dem Einzelnen voraus, sowohl dem Mitglied der Organisation als auch dem Supervisor, der sich eine begrenzte Zeit in dieser Kultur aufhält. Kulturen verändern sich, aber sie tun es langsam. Sie lassen sich prägen durch Einzelne, aber sie haben auch ein sehr großes Beharrungsvermögen Überträgt man das Vorstehende auf die Leitungsfrage, so bedeutet das: Mit Leitungskultur einer Organisation bezeichne ich die Art und Weise, wie die Leitungsstrukturen von den beteiligten Individuen erlebt und gestaltet werden. Die Auffassungen von Leitung gehören zur Organisationskultur und sind weitgehend festgeschrieben. Sie sind nur langsam veränderbar durch einen neuen Leitungsstil und neue Leitungsstrukturen.

Als einen kulturellen Hauptunterschied im Hinblick auf die Leitungsfrage nehme ich den Unterschied zwischen Profit- und Non-profit-Organisationen, wobei ich in dieser Ausarbeitung das Augenmerk auf den Non-Profit-Bereich lege, weil dort Teamsupervisionen hauptsächlich nachgefragt werden. Im Profit-Bereich sind Macht und Leitung keine Tabu-Themen. Leitungen nehmen ihre Rolle wahr, arbeiten leistungsorientiert aufgrund von Aufstiegschancen, die sie mit der Wahrnehmung ihrer Leitungsaufgaben stärken können. Umgekehrt ist Machtausübung auf Seiten der nachgeordneten Mitarbeiter akzeptiert. In Behörden und Verwaltungen, ebenfalls klassischen Non-Profit-Bereichen, findet man aufgrund der klar beschreibbaren Hierarchien und Dienstwege deutlichere Rollenübemahmen der Leitungspersonen qua Amtsautorität. Im pädagogisch-sozialen Sektor des Non-Profit-Bereichs überwiegen aber die negativen Assoziationen zu Leitung und Macht, Führung und Hierarchie. Auf der Seite der Leitenden findet man auffallend häufig mangelnde Leitungsrollenübernahmen, ein schlechtes Gewissen bei der Notwendigkeit, Führung zu übernehmen, ein wenig entwickeltes Leitungsverständnis und Konzept, und zwar je auffallender, desto niedriger man in der Hierarchie geht. Entsprechend wird Leitung von den nachgeordneten Mitarbeitern oft misstrauisch angesehen und ist legitimationsbedürftig.


Beispiel: Teilnahme einer mitarbeitenden Leitung (Teamsupervision in einem Altenheim)

Die Einrichtung weist gemäß der vorgeschlagenen Einordnung sowohl hierarchische als auch teambestimmte Dimensionen auf. Sie wird als GmbH geführt, deren alleiniger Gesellschafter eine nicht ortsansässige Stiftung ist, die noch weitere Einrichtungen desselben Typs unterhält. Die Geschäftsführung liegt in dieser Stiftung. Vor Ort ist der Leiter des Heimes allerdings für die Führung des Hauses auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht verantwortlich. Er ist der Vorgesetzte aller Mitarbeiterinnen. Ihm nachgeordnet sind die Pflegedienstleitung, sowie die Leitungen der Küche und der Hauswirtschaft. Stabsstellen sind 2 Stellen im Sozialen Dienst. Im Sektor der Pflege folgen in der hierarchischen Differenzierung nunmehr 3 Stationsleitungen, die jeweils ein „Team" von 7-8 Pfiegekräften leiten. In jedem Team fungiert eine der Pflegekräfte als stellvertretende Stationsleitung. Diese Rolle ist rn.E. nicht als eine eigene hierarchische Stufe anzusehen, sondern sie übernimmt nur für den Fall der Nichtanwesenheit der Leitung die Leitungsrolle, ist aber ansonsten normale Mitarbeiterin. Die Hierarchie umfasst also 3-4 Stufen, ist also eher flach, wobei die Stellung des Heimleiters ausgesprochen mächtig erscheint.

Auch die Initiative zur Supervision geht von ihm, d.h. von oben aus. Die Mitarbeiter auf der Station haben nicht nach Supervision gefragt. Sie stehen der Initiative des Heimleiters in einem Gemisch aus Indifferenz, Abwehr und Neugier gegenüber. Sie ergreifen nicht selbst die Initiative. Sie warten, bis ihr Leiter ihnen einen fürsorglichen Vorschlag macht. Im Zusammenhang des Themas möchte ich darauf aufmerksam machen, dass dieses Verfahren von allen Beteiligten als normal angesehen wird. D.h. ein solches Verfahren scheint kulturadäquat zu sein. Zur Leitungskultur der Organisation scheint es zu gehören, dass die Mitarbeiterinnen auf den nachgeordneten Ebenen nur auf die Initiative des vorgesetzten Leiters (nicht einmal der Stationsleiterin) die Gelegenheit wahrnehmen, ihre Arbeitsrealität zu reflektieren. Im Sinne der Leitungskulturfrage wäre zu untersuchen, wie der Zusammenhang ist zwischen dem initiativen Leiter und den initiativlosen Mitarbeitern, inwiefern sich die Initiative von oben in Passivität unten spiegelt oder auch in Widerständen.

Kontraktiert wurde hauptsächlich Fallsupervision. An der Supervision nahmen die beiden unteren teambildenden Stufen der Hierarchie teil, die Stationsleiterin und ihre Mitarbeiterinnen (der Heimleiter nicht). Die Aufgabe der Stationsleiterin bestand neben der Pflege in der Gestaltung von Dienst- und Urlaubsplänen, Teilnahme an Stationsleitungssitzungen mit der Heimleitung, Verantwortung für die Umsetzung von Anforderungen der Heimleitung, fachliche Gesamtkontrolle über die Einhaltung der Pflegestandards auf der Station. Die fachliche Kontrolle in der Praxis hat sie als Leitung ihrer Schicht (wie ihre Stellvertreterin auch), darüberhinaus muss sie in dieser Funktion auch die Pflegekräfte einteilen. Sie besaß eine Stationsleitungsqualifikation (ihre Stellvertreterin und weitere 2 Kolleginnen waren examinierte Altenpflegerinnen, die anderen hatten entweder eine Ausbildung als Altenpflegehelferin absolviert oder besaßen keine formale Qualifikation).

In der Supervision konnte relativ gut an Fällen, an Erfahrungen und Gefühlen gearbeitet werden. Konzeptionelle Fragen wurden nicht diskutiert. Auch Fachlichkeit im Sinne von Pflegestandards wurde nicht besprochen. Die teilnehmende Leitung wurde zwar gelegentlich zum Thema, aber zunächst nur beiläufig, es wurde auch an ihrer Rolle nicht gearbeitet. Sie nahm sich als Leiterin eher zurück, ja von Identifikations- bzw. Referenzautorität war wenig spürbar. Häufiger wurden die nicht anwesenden Leitungen thematisiert, und zwar hauptsächlich die nächsthöhere Stufe, die Pflegedienstleiterin, in geringerem Maße die Heimleitung. Der Versuch, diese Thematisierung in direkter Kommunikation mit den angesprochenen vorgesetzten Leitungen durchzuführen, sah sich einem erheblichen Widerstandswillen des Teams ausgesetzt, das die Supervision ohne die Vorgesetzten haben wollte, nur für sich. D.h. es gab einen starken Einfluss der Hierarchie (Installation der Supervision, Finanzierung, Kontrakt, Thematisierung im Prozess), aber ebenso eine ausgeprägte Binnenorientierung des Teams, das sich abgrenzte gegen die Hierarchie, sich aber gleichwohl mit ihr konflikthaft beschäftigte. Insofern viel über die nicht anwesende Hierarchie gesprochen wurde, wurde Supervisionszeit abgezogen von dem, was eigentlich der Kontrakt vorsah: nämlich die Beschäftigung mit dem Klientenbezug. Ebenso vermieden wurde aber die Auseinandersetzung mit der teilnehmenden Leitung, bis sich an einem Punkt die stillschweigend angesammelten Kritikpunkte in einem heftigen Konflikt zwischen Leiterin und Stellvertreterin entluden, was letztlich sogar zur Spaltung des Teams führte. Dabei wurde der Leiterin hauptsächlich mangelnde fachliche Kontrolle der Mitarbeiterinnen vorgeworfen. Dieser Konflikt konnte nicht zu Ende besprochen werden, weil die Beteiligten sich dagegen aussprachen.

Auffallend erscheint zunächst die herausgehobene Rolle des Heimleiters, sowohl in der Art, wie er sie gestaltet als auch in der Akzeptanz seitens der Mitarbeiter. Die Stellung ist so exponiert, dass die Pflegedienstleiterin deutlich dahinter zurücksteht, insofern selbst bei der Supervision, die ja die Pflege betraf, der Heimleiter die Verhandlungen führte. Eine Teilerklärung findet man, wenn man an die Geschichte der Altenheime denkt. Sie haben, seit es sie gibt, mit prägenden Leitungsgestalten existiert. Die Geschichte der Siechenhäuser reicht bis ins Mittelalter zurück. Im 19. Jahrhundert wurden zahlreiche Siechenhäuser gegründet, weil aufgrund der Industrialisierung und Proletarisierung der soziale Zusammenhalt immer öfter wegbrach. Diese Häuser sind die Vorläufer der Altenheime, sie werden Asyle oder Anstalten genannt, die alten Menschen heißen Insassen oder Pfleglinge. Oft waren die Anstalten in der Hand konfessioneller Träger, und Schwestern führten ein strenges Regiment. Nichts ging ohne sie, sie hatten den allumfassenden, kontrollierenden Zugriff zu jeder Zeit auf jeden Bewohner. Leitung war hier Bewachung und Kontrolle. Dies hat sich um die Jahrhundertwende verändert. Der Aspekt der Kontrolle und Bewachung trat zurück, die Pflege und das Wohnen im Alter spielten eine immer größere Rolle. Man gestaltete mehr einen Lebenszusammenhang, aber kontrolliert und beobachtet wurde natürlich immer noch. Entsprechend wurden die ersten Altenheime, in denen alte Menschen noch in großen Sälen untergebracht waren, von „Hauseltern" geleitet. Dies ist eine kulturbildende Leitungsstruktur geworden. Mit Recht spricht K. Gröning von „hauselterlichen Leitungstraditionen" in Altenheimen. Diese Tradition der starken Leitungen setzt sich fort bis in die jüngste Vergangenheit, wo die Heimleiter noch ungehinderten Zugang zu den Zimmern der Bewohner hatten, was ich selbst noch erlebt habe. Im Bewusstsein und in den Erwartungen der Beteiligten, der alten Menschen ebenso wie der Angehörigen und der Mitarbeiter, ist dieses Bild des Heimleiters als des Vaters des Hauses, der überall nach dem Rechten sehen darf, heute noch vorhanden und wirksam. In diesem Bild ist beides zusammen: die familiäre Beziehung und die Überwachung.

In der Veränderung zu den Hauseltern, zum Hausvater oder zur Hausmutter schlägt sich ein gesellschaftlicher Prozess und eine Mythenbildung nieder. Sozial gesehen ersetzen Altenheime für die alten Menschen die Betreuung durch die Familien. Parallel dazu wird der Mythos der Familie im Heim aufgebaut. Ich glaube, ohne dass ich es jetzt nachweisen kann, dass dieser Mythos sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt hat komplementär zur Abnahme der Leistungsfähigkeit der Familie. Mitarbeiter im Altenheim leben noch heute in der Überzeugung, dass sie für die pflegebedürftigen alten Menschen eine Ersatzfamilie schaffen. Die hierarchische Struktur der Familie ist einfach: An der Spitze steht der pater familias, danach kommt die Mutter, danach die Kinder. Übertragen auf das Altenheim steht an der Spitze der Heimleiter, nach ihm kommt die Pflegedienstleiterin, während sich die Pflegenden in der Rolle der älteren Kinder, genauer gesagt der Töchter, befinden, die die jüngeren Kinder (nämlich die alten Menschen) zu behüten haben. In den meisten Altenheimen ist tatsächlich die Leitung männlich, während die Pflegedienstleitung weiblich ist, wenn es nicht statt des Heimleiters ein Heimleiterehepaar gibt. Der Mythos liefert das Gefühl einer verlässlichen, beziehungsorientierten Wirklichkeit, in der man gut versorgt, aber auch umfassend kontrolliert ist (hier kann einem nichts passieren, es wird aufgepasst). So vermag er das Leben und Arbeiten in einer totalen Institution offenkundig erträglich zu machen. Während das Leben der Bewohner und Mitarbeiter in Wirklichkeit nach einem bis ins Kleinste geregelten Plan strukturiert ist und die Arbeitsorganisation Fließbandcharakter hat, imaginiert man sich als Familie unter fürsorgenden Eltern oder einem guten Vater und arbeitet auf einem „Wohnbereich". Im Gefühl und in der Vorstellung werden auf diese Weise personale Beziehungsmuster hervorgerufen, die die harte Realität abfedern, was natürlich nicht auf Dauer gelingen kann.

Diese Leitungstraditionen sind Bestandteil der Kultur der Altenheime. Diese Kultur ist allerdings heute nicht mehr ungebrochen wirksam, und insofern man von einem Mythos spricht, meint man damit ja auch, dass es eine andere Wirklichkeit gibt. Die Heimleitungen müssen ihr Heim heute nach betriebswirtschaftlichen Kriterien führen. Das heißt, Heimleitungen leben mit einem Widerspruch, im Grunde leben sie mit zwei Kulturen, der Familienkultur und der ökonomischen Kultur. Einerseits handeln sie nach Normen und Werten der Fürsorglichkeit. Der Heimleiter hat fürsorglich seinen Mitarbeitern Supervision verschafft. Andererseits muss er nach rationalen Kriterien einen Betrieb führen. Aber selbst unter den neueren rationalen, ökonomischen Dienstleistungsgesichtspunkten fällt auf, dass sich im Grunde die Machtfülle auf der Leitungsebene weiter fortsetzt. Im Laufe der Supervision wurden zahlreiche Veränderungen angeordnet: Die Arbeitsorganisation wurde in verschiedenen Teileinrichtungen vereinheitlicht, langjährig praktizierte Schichteinteilungen wurden verändert, die Stationsleitungen wurden herabgestuft zu Schichtleitungen.

Blickt man jetzt auf die nach geordnete Leitungsebene, also die Ebene der Stationsleitungen, so ist der erste Eindruck, dass es hier ein Leitungsvakuum gibt. K. Gröning meint, das hänge zusammen mit der Machtfülle an der Spitze. Im Netzwerk der Macht existiert also bei der Heimleitung eine starke Konzentration. Aber ich meine, dass es auch andere Machtkonzentrationen gibt, und die liegen auf der Ebene der Pflegeteams, Sie sind aber nicht gut an Leitungsrollen ausweisbar. Dieser Aspekt der Leitungsrollen ist in der Tat weitgehend unberücksichtigt geblieben. Bei den Veränderungen, die sich in den letzten Jahren für die Altenpflege ergeben haben, sind insbesondere zwei Gebiete gefördert worden: die Fachlichkeit des Pflegepersonals auf der einen Seite, auf der anderen Seite die Dienstleistungsqualität der Organisationen, also die Orientierung an den „Kunden". Aber hinsichtlich der Leitungsfrage sind wenig Fortschritte gemacht worden. Ich stimme K. Gröning zu, wenn sie sagt, dass die „Ebene des sozialen Umganges, des Leitungs- und Führungsstils ein weitgehend blinder Fleck" geblieben ist. Beim Pflegepersonal dominieren moralische Ideale und oft naive Berufsbilder, die stark von alltäglichen Deutungsmustern und hoher Regressionsbereitschaft bestimmt sind. Wenn man im Bild des Familienmythos sprechen kann, dann sind sie Töchter, die noch nicht erwachsen sind. Vom Pflegepersonal wird die Leitung oft als allmächtig und allzuständig erlebt, wobei aufgrund der Neigung zu vereinfachten Verarbeitungsmechanismen auch Spaltungen vorgenommen werden zwischen einem guten / bösen Hausvater (Leiter) und einer bösen / guten Hausmutter (Pflegedienstleiterin). Diese Spaltungen lassen sich einerseits als Reaktion auf die gefühlsmäßig enorm schwer auszuhaltende Arbeitsrealität verstehen, andererseits als Reaktion auf die Veränderungen der Betriebsrealität, die im Gefühl der Mitarbeiterinnen integriert werden müssen. In der Tat ist der Heimleiter nicht mehr der Vater, er hat ganz andere Aufgaben zu erledigen. Aber die Rollenerwartungen der Mitarbeiterinnen gehen in die beziehungsorientierte Richtung, während die Aufgaben, die die Heimleitungen haben, ganz anders aussehen.

In der Tat: Die Stationsleitungen haben oft keine präzisen Vorstellungen davon, inwiefern sie Leitungskräfte sind. Die stellvertretende Leiterin einer Station sagte: Ich bin zwar stellvertretende Leiterin, aber ich bin immer froh, wenn ich nicht leiten muss. In vergleichbarer Weise war es der Leiterin selbst unangenehm, über ihre Rolle zu sprechen. Sie tat, was sie tun musste. Sie machte die Dienst- und Urlaubspläne, hielt den Kontakt mit dem Sozialdienst, teilte die Mitarbeiterinnen zum Dienst ein, sie schützte sie vor Überforderungen, aber sie tat all das nicht in einem klaren Rollenbewußtsein. Unter dem enormen Druck der alltäglichen Arbeit wurde sie mehr zur Mitarbeiterin als dass sie Leiterin war. Sie war lieber nicht Leitung, sie gehörte lieber dazu. Der Aspekt der Mitarbeiterführung blieb daher unterentwickelt. Dass sie Anordnungen der Heimleitung umzusetzen hatte, war ihr unangenehm.

Was macht die Leitungsrollenübernahme auf der Ebene des Teams so schwierig? Ich meine, dass man hier einen Faktor ins Spiel bringen muss, der ebenfalls für die Altenheimkultur charakteristisch ist. Das Team auf dieser Station war, wie es meist in Altenheimen der Fall ist, eine reine Frauengruppe. Chr. Burbach schreibt, es gehöre zur Kultur von Frauengruppen, dass in ihnen Hierarchien, Führung und Differenzierung eher abgelehnt werden. Frauen, die Führungsansprüche erheben, erleben dies mit Angst und Schuldgefühlen, während bei denen, die geführt werden sollen, Bewunderung und Ablehnung zugleich vorhanden sind. Oft ist Harmonie ein hoher Wert, Zuwendung und Versorgung werden beansprucht und gegeben (so hat mich das Team in der Probesitzung mit Kaffee begrüßt). Unterschiedlichkeiten werden wenn möglich ignoriert, oder sie werden mit Sanktionen belegt durch Kränkungen oder Aggression. Beides habe ich erlebt. Ich bekam z.B. erst nach langer Zeit ein Gefühl für die Unterschiedlichkeiten der Personen, ihres beruflichen Status und ihrer Rollen im Team Das Team sprach nicht über die Hierarchie innerhalb des Teams, während gleichzeitig die Hierarchie des Heims selbst deutlich wahrgenommen wurde. Auf der anderen Seite war es wohl nicht zufällig so, dass gerade die Leiterin (die die herausgehobene Rolle hatte) von ihrer Stellvertreterin einmal außerordentlich aggressiv und kränkend zugleich kritisiert wurde. Die Vermeidung der Unterschiedlichkeit geht, so Chr. Burbach, oft einher mit untergründiger Aggressivität.

Zu einem Teil lässt sich also die auf der Teamebene zurückgenommene Leitungsrollenübernahme mit der spezifischen Kultur von Frauenarbeitsgruppen erklären. Es ist die Frage, in welcher Weise sich das Vermiedene, die Unterschiedlichkeit und die verborgenen Machtansprüche bemerkbar machen. Gemäß der oben entwickelten Typologie müsste eine gesteigerte Machtdynamik im Team vorhanden sein. Je weniger deutlich eine Leitungsrolle eingenommen wird, desto mehr Konkurrenz lässt sich untereinander vermuten, das war die These. Nun lässt sich hier sehen, dass die Typologien nur dann zum Verstehen helfen, wenn die kulturellen Dispositionen erkannt werden. Ich möchte, neben der Machtfülle der Leitung und der Kultur der Frauen noch einen weiteren Faktor ins Spiel bringen, der mit dem ersten zusammenhängt. Im Rückgriff auf das Familienbild formuliert K. Gröning, dass das Altenheim eine mütterliche Gestalt habe. Es wird beherrscht von der Macht der Mütter. Diese Mütter sind vom Vater verlassen, bzw. der Vater sitzt im Büro und macht die Verwaltungsarbeit. Die Mütter sind mit ihren Kindern, den alten Menschen alleine, wissen aber auch, was für die Bewohner gut ist. Sie wissen es besser als die Angehörigen und auch besser als der Heimleiter und ohnehin viel besser als ein externer Berater. Nur die Mütter haben alles im Blick, wissen, was gerade nötig ist und können die notwendige Zuwendung geben. Dieses Gefühl ist kollektiv, es wird oft in aggressiver Weise gegen Außenstehende artikuliert. Es gibt im Altenheim also neben der starken Leitung eine weitere Machtballung, die ganz anders geartet ist, und doch unbewusst mit der Heimleitung korrespondiert. Aber an diesem mütterlichen Machtbereich haben viele teil. Alle Teammitglieder sind Mütter. Nun gibt es aber eine, die formal die Leiterin ist. Sie hat eine exponierte Stellung, auch wenn sie dies zurücknehmen möchte. Sie kann Leitung nur auf eine spezifisch zurückhaltende, beziehungsorientierte Weise ausüben, so dass die Gesamtdispositionen der Teamkultur nicht gestört werden. Doch wenn es eine Gelegenheit gibt, Aggressivität loszuwerden, dann ist neben den Außenstehenden am ehesten diejenige der Gegenstand, die formal höhersteht. Sie wurde zuerst angegriffen, als Fachlichkeit in Frage stand und Pflegefehler geschahen. D.h. gegenüber der Leiterin wurden Aggressionen ausgesprochen, wurde latente Konkurrenz agiert. Das geschah wie eine Explosion, etwas Aufgestautes machte sich Luft, und ebenso schnell wurde es wieder zugedeckt, ein Arbeiten daran erwies sich als kaum möglich. Konkurrenz und Aggression waren mit großer Angst besetzt.

Wenn man davon spricht, dass es auf dieser Ebene im Altenheim ein Leitungsvakuum gibt, dann muss m.E. zugleich die kulturspezifische Machtausübung wahrgenommen werden. Sie füllt allerdings lediglich einen Machtbereich, nicht aber das Leitungsvakuum. Doch das Leitungsvakuum lässt sich meines Erachtens auch nicht so einfach füllen. Ich möchte dazu einen umgekehrten Interpretationsvorschlag machen: Die Leitungsposition auf dieser Teamebene innezuhaben beinhaltet von vorneherein ein hohes Risiko, insofern die Leiterin mit formaler Unterschiedlichkeit behaftet ist. D.h. es ist zunächst einmal zu sehen, dass es eine Leistung ist, diese Unterschiedlichkeit überhaupt auszuhalten. Sie nicht zu sichtbar werden zu lassen, ist eine normale Strategie, die Belastungen zu vermindern sucht. Die Unterschiedlichkeit zu sehen, mit ihr zu leben und sie zu nutzen das ist ein zweiter, aber sinnvoller und notwendiger Schritt.

Wenn man das berücksichtigt, dann wird man eher zurückhaltend mit Anforderungen an Leitungsrollenentwicklungen umgehen. Die gängigen Leitungskonzepte sind jedenfalls eher an männlichen Dispositionen orientiert und berücksichtigen m.E. zu wenig solche kulturellen Gegebenheiten, wie ich sie hier versucht habe aufzuzeigen. Und ich möchte auch noch einmal betonen: Gegenwärtig sieht es so aus, als ob die Machtfülle der Heimleitungen sich verstärkt, indem die Hierarchien abgeflacht werden (keine Stationsleitungen mehr). Es entstehen in manchen Einrichtungen zwar auch neue Leitungspositionen, z.B. Bereichsleitungen. Doch die Veränderungen gehen von oben aus, für die nachgeordneten Mitarbeiter sieht es nicht so aus, als ob ihre Leitungskompetenzen gestärkt werden. Nur wenn die Heimleitungen dazu übergehen, mehr Leitungskompetenzen an die nachgeordnete Leitungsebene zu geben, macht die Entwicklung von Leitungsrollen einen Sinn.

Das Altenheim ist (immer noch) eine totale Institution, die hinsichtlich der Leitung ein spannungsgeladenes Zugleich von starrer Hierarchie und persönlichen Beziehungen aufweist. Verschiedene Leitungskulturen sind vorhanden, die sich widersprechen und zugleich ergänzen: die Hausvaterkultur, die die Stärke der Heimleitung begründet, ferner die Frauen- bzw. Mütterkultur, in der differenzierte Leitungsrollenübernahmen schwer möglich sind, die aber zugleich durch Machtausübung gekennzeichnet ist. Als Supervisor gilt es, die kulturellen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, aber auch nach kulturspezifischen Ressourcen zu suchen. Dabei kann es weniger darum gehen, auf der Teamebene eine Art männliches Leitungsverständnis zu entwickeln, das bewusst auf Hierarchie setzt, auf reflektierte Distanz zu den Mitarbeitern, auf Rollenklarheit, Aufgabenorientierung und Mitarbeiterführung zielt, wie das z. B für die Heimleitungsposition oder die Position der Pflegedienstleitung zweckmäßig wäre. Aber eine Stationsleiterin könnte darin leitend sein, dass sie für sich und damit modellhaft für die Mitarbeiterinnen versucht, Unterschiedlichkeit sich bewusst zu machen und auszuhalten und insofern Rollenklarheit zu bekommen. Auch erscheint es sinnvoll, zu erkennen, welche unbewussten Rollenzuschreibungen und -übernahmen existieren. Entwicklung wird aber vor allem dadurch befördert, dass durch Fortbildungen der fachliche Anteil der Leitungsrolle verstärkt wird.



Download und Kopie nur zu privaten Zwecken. Die öffentliche Verbreitung ist nur mit meiner ausdrücklichen Zustimmung gestattet.



zurück Startseite


A-Prompt Version 1.0.6.0überprüft.. WAI- Stufe 'A'd